Pablo Picasso – Die Freiheit der späten Werke

Herausgegeben von Heiner Bastian
Mit Texten von Aeneas Bastian und Heiner Bastian
80 Seiten, 38 Abbildungen in Farbe
Format: 30.5 x 23.5 cm, gebunden
Schirmer/Mosel Verlag, München, 2011
Deutsche/englische Ausgabe
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Die Freiheit in Picassos Spätwerk war für viele Jahre eine dem Künstler vorbehaltene Entdeckung, die er mit nur wenigen teilen konnte. Als die Bilder der letzten Jahre ihre ersten Auftritte 1970 und 1973 im Palais des Papes in Avignon hatten, reagierte die öffentliche Meinung überwiegend zurückhaltend, ablehnend, ja ignorant. Man verdammte diese Bilder, man fiel über die Werke her, man hielt dem bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts Verrat am eigenen analytisch prismatischen Formenbewußtsein vor – Picassos grandioses Glasperlenspiel. Die Kritiker sahen in diesen Bildern die Aufgabe der einst sublim reflektierten Bildschrift. Den ungezähmten Aufruhr der Werke, das eigentliche Wagnis dieser Malerei, hielt man für einen Spiegel, in dem nicht das Leben selbst, sondern psychologische Mechanismen des Lebens in Bildern in Erscheinung traten: letzte redundante Endspiele, Bilder am Rande der aufziehenden Nacht.
Denn in diesen späten Arbeiten dominiert die Relativität der motivischen Erfindung, deren Fortschreibung, ja Zerstörung über die alleingültige Lösung. Unduldsamkeit, Aufruhr – Picassos Amalgam aus Schrecken, Schönheit und Provokation: In diesen Schock bezieht sich der Künstler selbst ein – erkennbar im Spiegel der für ihn immer schneller verrinnenden Zeit. Nur wenige sahen in diesen Werken das Neue, den Weg Baudelaires, den Versuch im »Unbekannten anzukommen«. Man hatte vergessen, daß der Künstler stets auch der Zerstörer seiner eigenen Formenwelt, daß es ihm nie um Stil gegangen war, sondern um neue Bildsprachen, um den Akzent des Zukünftigen.
Das Neue, die noch nicht erkannte Freiheit im späteren Werk des Künstlers, war die treibende Kraft elementarer Konflikte – Destruktion und Rekonstruktion von Rollen und Masken und Identität. Und war nicht der Aufbruch schon immer die vorherrschende Konstante in Picassos eigener ›Kunstgeschichte‹? Es sind die Metamorphosen, die Aufklärungen und Grenzüberschreitungen, die Riten der Zerstörung in neuen und unaufhörlichen Entdeckungen, die den Progreß des späten Werks bestimmen.
Picasso war der Künstler, der wie ein Komet über das 20. Jahrhundert zog. Er brauchte keinen Stil, er konnte Meilen über Meilen allein mit seinen Behauptungen gehen, er war sein eigenes Autodafé.

Heiner Bastian

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